Von Tatjana Bojic, dpaZwischen Filter und Feminismus: Wie Social Media das Leben von Mädchen prägt

TikTok, Instagram und Co. sind für Mädchen Bühne und Belastung zugleich. Sie finden dort Gemeinschaft und Gehör – erleben aber auch Schönheitsdruck, Hass und digitale Gewalt. Zum Weltmädchentag am 11. Oktober stellt sich die Frage: Fördern soziale Medien Gleichberechtigung oder gefährden sie sie?

Happy young female blogger on pink background
Pixel-Shot/stock.adobe.com_Stockphoto posed by a model

Am Weltmädchentag geht's um Social Media: Ist es eine Bühne für Selbstermächtigung – oder Verstärker für Schönheitsdruck und digitale Gewalt?

Welche Rolle spielen soziale Medien im Leben von Mädchen: Sind sie eher belastender Käfig oder stützendes Sprachrohr? Instagram-Filter, Tiktok-Trends und Influencerinnen erzeugen enormen Druck, schön, schlank, perfekt zu wirken. Zugleich entstehen bei den Plattformen Räume, in denen Mädchen ihre Stimme erheben, Gleichgesinnte finden und Missstände sichtbar machen. Fragen zum Weltmädchentag am 11. Oktober:

Sprachrohr oder Käfig? Die doppelte Rolle sozialer Medie

Für den Weltmädchenbericht 2021 hat die Kinderrechtsorganisation Plan International 26.000 Mädchen und junge Frauen in 26 Ländern der Welt zu ihren Erfahrungen mit Falschnachrichten im Internet befragt. Das Ergebnis: Fake News -Falschnachrichten, die vornehmlich in sozialen Netzwerken verbreitet werden - hindern Mädchen daran, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren. 

«Sie sind ein maßgeblicher Grund dafür, dass sie ihre Meinungen nicht mehr in Social Media teilen wollen. Wenn Mädchen sich aus Angst vor Falschinformationen, Hass oder Anfeindungen aus dem digitalen Raum zurückziehen, hat das direkte Auswirkungen auf die Gleichberechtigung», erklärt Pia Arndt von Plan International Deutschland. 

Es gebe keine Gleichberechtigung im Netz, sagt Rüdiger Maas, Psychologe, Generationenforscher und Leiter des Instituts für Generationenforschung. «Das Netz potenziert nur alles, was wir in der analogen Welt haben.» So verbreiteten sich Hassnachrichten im Netz schneller als in der realen Welt. Etwa 70 Prozent der Mädchen und Frauen im Netz hätten dort Gewalt erfahren, im weitesten Sinne auch durch sogenanntes Bodyshaming. 

Fake News als Gleichberechtigungsbremse

Wer sich nicht traue, seine Meinung zu äußern oder sich politisch zu engagieren, werde aus wichtigen gesellschaftlichen Diskursen ausgeschlossen, gibt Arndt zu bedenken. «Mädchen und junge Frauen verlieren dadurch nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Einfluss - etwa bei Themen, die sie unmittelbar betreffen: Bildung, Gleichstellung, reproduktive Rechte, Klimaschutz oder digitale Gewalt.» 

Das digitale Schweigen resultiere in Ungleichgewicht: Während sich viele Jungen und Männer lautstark äußerten - und dafür oft weniger sanktioniert würden -, fehlten weibliche Perspektiven. «Wenn Mädchen verstummen, leidet die Demokratie. Und Gleichberechtigung rückt in noch weitere Ferne», erklärt Arndt.

Digitale Gewalt trifft vor allem Mädchen

Plan International zufolge sind Social Media Spiegel und Vergleichsplattform, junge Mädchen messen sich dort oft an unrealistischen Idealen. «Das kann zu Unsicherheiten, geringem Selbstwertgefühl und dem Druck führen, sich anzupassen oder perfekt zu erscheinen», sagt Arndt. Neueste Umfragen zeigten, dass die intensive Nutzung sozialer Medien mit einem Anstieg von Essstörungen in Verbindung stehe und unterschiedliche Auswirkungen auf die Psyche haben könne. 

Aus Sicht von Maas neigen Mädchen eher dazu, sich Schönheitsideale im Netz zu suchen. Und bekommen vielfach Menschen zu sehen, die weitaus schöner zu sein scheinen als man selbst. Zentral für den Umgang damit sei die Persönlichkeit. «Wir wissen nicht, mit welchem Selbstwertgefühl jemand ins Netz geht», sagt Maas.

Laut Plan International können Communitys wiederum das Selbstbewusstsein von Mädchen stärken und Social Media als ein Werkzeug dienen, um sich zu vernetzen und einzubringen. «Wichtig ist dabei ein gesunder, reflektierter Umgang mit den sozialen Medien und die bewusste Entscheidung, wem man folgt und was man konsumiert», sagt Arndt.

TradWives und toxische Männlichkeit: Rückschritt im Rollenbild?

In sozialen Medien werden laut Arndt häufig stereotype Frauenbilder vermittelt - orientiert an traditionellen Rollen, Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Erwartungen. Trends wie #TradWives oder #stayathomegirlfriends zeigten, wie stark traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit wieder ins Zentrum rücken. Frauen inszenieren sich dabei als Hausfrauen, Mütter und Fürsorgerinnen, häufig idealisiert. Plattformen verstärkten diese Bilder, indem sie bestimmte äußerliche Merkmale, Statussymbole und inszenierte Lebensstile besonders sichtbar machen. 

Besonders problematisch sind Plan International zufolge antifeministische Bewegungen und toxische Männlichkeitsideale, die sich in Online-Communities wie den «Incels» verbreiten. «Incel» ist ein Kofferwort aus involuntary und celibate (unfreiwillig sexuell enthaltsam/zölibatär). «Sie propagieren frauenfeindliche Narrative, lehnen Gleichberechtigung ab und zementieren starre Rollenbilder. Diese Ideologien fördern ein verzerrtes Männerbild und gefährden letztlich nicht nur Frauen, sondern auch Jungen und Männer, die unter diesem Druck leiden», sagt Arndt. 

Schönheitsdruck trifft Mädchen besonders hart

Laut Plan International beeinflussen soziale Medien alle Geschlechter. Der Leistungs- und Optimierungsdruck sei real. Dies geschehe vor allem durch die ständige Wiederholung und Sichtbarkeit bestimmter Bilder und Normen. Junge Nutzer vergleichen sich mit Influencern, Freunden und den in sozialen Medien inszenierten Idealen. «Gerade im Jugendalter, in dem viele auf der Suche nach Vorbildern, Orientierung und einem Gefühl für die eigene Identität sind, können solche Inhalte besonders wirkungsvoll und leider auch problematisch sein», sagt Arndt.

Männer vergleichen sind laut Maas jedoch nicht mit Models in der Art, wie dies bei Frauen der Fall sei. Sie seien zudem oft weniger verletzlich. 

Weltmädchentag: Ein Zeichen in Pink

Auf Initiative von Plan International haben die Vereinten Nationen den 11. Oktober 2012 erstmals als Weltmädchentag ausgerufen. Seitdem nimmt die Organisation diesen Tag jedes Jahr zum Anlass, um auf die Situation von Mädchen weltweit aufmerksam zu machen. Ein besonderer Fokus liegt 2025 auf dem Schutz von Mädchen vor Früh- und Zwangsverheiratung.

Dabei hat pinkfarbene Beleuchtung Tradition: Am Abend des 11. Oktober macht Plan International in ganz Deutschland mit der Illuminierung bekannter Wahrzeichen und Gebäude auf die Rechte von Mädchen aufmerksam. Auch dieses Jahr nehmen wieder zahlreiche Städte und Gemeinden an der Beleuchtungsaktion teil. Allein in Hamburg sollen zehn bekannte Wahrzeichen in Pink erstrahlen - etwa der Hamburger Michel, das Altonaer Rathaus und das HSV-Stadion.

  • Doppelte Wirkung: Soziale Medien sind für Mädchen sowohl Sprachrohr als auch Quelle von Schönheitsdruck und digitaler Gewalt.
  • Fake News als Hürde: Falschnachrichten im Netz hemmen das gesellschaftliche und politische Engagement junger Frauen.
  • Digitale Ungleichheit: Mädchen erleben häufiger Hass und Bodyshaming – und ziehen sich aus Angst zurück, was ihre Sichtbarkeit und Teilhabe einschränkt.
  • Rollenbilder im Rückwärtsgang: Trends wie #TradWives fördern stereotype Frauenbilder und antifeministische Narrative.
  • Psychische Belastung: Der Vergleich mit inszenierten Idealen kann zu Selbstzweifeln und Essstörungen führen – besonders bei jungen Nutzerinnen.
  • Potenzial zur Selbstermächtigung: Communitys und reflektierter Medienkonsum können das Selbstbewusstsein stärken und Mädchen eine Stimme geben.